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Sonntag, 6. Dezember 2009

Die taz widmet sich in ihrer heutigen Ausgabe auffallend lang der Frage der Bachelorstudiengänge. Keine Frage, stellen doch die Mitarbeiter in den Medien einen großen Teil an Studierten dar. Und unter all den Journalisten, die die Universität von Innen kennen, sind die Mitarbeiter der Taz vielleicht auch die couragiertesten. Nicht anders kann ich mir erklären, warum sich auffallend wenig andere Blätter mit den Inhalten der Studentenproteste beschäftigen.

Nun lesen wir im heutigen Kommentar:

Der von Bildungsministerin Annette Schavan jetzt bejubelte Studentenboom ist doch nur ein Zufallstreffer der Demografie: eine Folge der letzten geburtenstarken Jahrgänge und einer doppelten Abiturgeneration. Aber die Hochschulen sind überhaupt nicht darauf vorbereitet. Das bedeutet: Die Kultusminister haben mit ihrem dilettantischen Bachelor die Unis schon für den Normalbetrieb lahmgelegt. Ab kommendem Jahr stürzt eine neue Welle an Abiturienten auf die Hochschulen ein - und keiner weiß, wie und wo man sie schlau machen könnte. Wer glaubt, diese Hochschulkrise mit einer neuen Prüfungsordnung lösen zu kennen, hat noch keinen Studentenprotest erlebt. Der wahre Aufstand der genervten Bürgerkinder steht erst noch bevor.

Das hört sich für den Normalbürger irgendwie sehr prophetisch an, ist aber aus der Sicht des Instituts für Ethnologie eine ganz brutale Wahrheit. Wie können Wahrheiten brutal sein und warum gehen voll gelaufene Boote in der Erfahrung der Protstbewegungen nicht unter?

Man kommt nicht mehr weit mit Metaphern in der heutigen Situation der Universitäten. Aus der Sicht des Instituts für Ethnologie der Leipziger Universität schon gar nicht, denn die Studiengänge dieses Institus sind vollgelaufen bis obenhin und anstatt daran unterzugehen, ist dieses Institut bisher mit seinen Protestaktionen am aktivesten und kreativsten. Ohne hier den studentischen Protest für beendet zu erklären -- die Aktionen der Studenten gehen die nächsten Wochen weiter -- will ich einmal kurz darstellen, was im letzten, diesem und im nächsten Jahr passiert(e).

Der sächsische Staat verlangt von seinen Universitäten Leistung in Form von Studentenzahlen. Nur so kann man sich behaupten, so geht die Philosophie, wenn man zeigt, wie viele Leute in die Universitäten strömen.

So verlangte sie von der Universität Leipzig 30.000 Studenten als Sollzahl. Würde die Uni das Ziel nicht erreichen, drohten ihr Streichungen von bis zu einem Drittel ihres Budgets. Nun wurde in der Universität Rechnungen angestellt, wie viele Bachelorstudenten die einzelnen Institute überhaupt aufnehmen können. Da Beachelorstudiengänge ja eine intensivere Betreuung als Magister bedurften. Nach einem komplizierten Schlüssel wurden dann ausgerechnet, dass die Kapazitäten für 30.00 Studenten aber gar nicht reichen würden. So ging man mit dem Land Sachsen in Verhandlungen und legte in einem Hochschulrahmenvertrag fest, dass die Universität pro Student über ihrer Kapazität einen zusätzlichen Betrag von 600 EURO an die einzelnen Institute bezahle. Mit diesem Geld konnte man dann sogenannte Springer bezahlen, die einen Teil der überfüllten Seminare übernahmen und somit die Seminarstärken erträglich wurden. Der Clou an diesem Pakt jedoch ist, dass dieses Geld nur für ein Jahr ausgezahlt wird, besagte überzählige Studenten haben sich aber für drei Jahre in den Bachelor eingeschrieben.

Das Problem wurde im ersten Jahr noch nicht sichtbar, da war ja noch alles in Ordnung. Nun kam das zweite Jahr und die Prozedur wiederholte sich. Zur Kapazität von 35 wurden zuätzllich 70 weitere eingeschrieben. Als es nun an die Beantragung der Springergelder ging, wurde schnell klar, Geld war nur für die neuen da, die alten Studenten mußten da irgendwie in das System integriert werden.

Nun steht im Winter 2010 die dritte Runde der Bachelorstudiengänge an, die hier sicher wieder mit einer Überkapazität von 70 - 80 Leuten zu Buche schlagen werden. Die Zahlungen für diese Überkapazität müssen dann die 120 überzähligen Studenten der Jahre 2008 , 2009 mitfinanzieren.

Diese Zustände führen ja schon jetzt im Jahr 2009 zu heftigen Protesten. Wie soll das erst 2010 werden?

Die Prognose des oben zitierten Kommentars mag recht haben. Die Proteste werden heftiger werden.

Dazu kommt, dass es zu der Ebene des Instituts noch eine Ebene der Gesamtuniversität gibt, die bisher noch einer Nachricht harrt, die in Rektoratskreisen bekannt ist, aber noch nicht nach Außen sickerte. Wer dem Rektor Häuser in seiner Eröffnungsrede zum Kongress Ökonomisierung der Wissenschaft genau zuhörte, konnte diese Nachricht schon versteckt zwischen den offiziellen Worten wahrnehmen: Immer wenn sie sich im rektorat treffen, um über die Zukunft der Universität zu verhandeln, würde ihnen schmerzlich klar werden, dass sie hier gar keinen Spielraum mehr haben.

Egal wie viel Schmutz das Rektorat bisher zu verantworten hat, mit diesem versteckten Offenbarungseid zeigte sich, was anderswo schon viel offener formuliert wurde: Der Etat der Unversität für die Zeit jenseits des Hochschulrahmenvertrags 2010 ist bereits um ein Drittel zusammengestrichen. Nur sind für dieses brutale rechnerische Faktum noch keine realen Folgen benannt. Keiner weiß bisher, wo diese 33 prozentigen Einsparungen eigentlich herkommen sollen. Da werden alle Fachbereiche Federn lassen und zahlreiche werden eingespart werden. Wenn man allein sieht, was für einen Protest die Lage in einem kleinen Ein Professoreninstitut hervorbringt, dann möchte das hochgrechnet auf die ganze Universität heißen: 2011 steht die Uni Leipzig Kopf.

Da fragt man sich, warum das Rektorat, dass seit kurzem und vor allem VOR dem Beginn der Feierlichkeiten zur 600 Jahr Feier diese Neuigkeit zu hören bekam, warum also das Rektorat hier nicht die Medienöffentlichkeit nutzte, um in alle Welt hinauszuposaunen: Hört nicht auf die verlogenen Stimmen der Politik, die Eure Arbeit auf der einen Seite rühmen, auf der anderen Seite dafür aber kein Geld mehr haben. Hört nicht auf das Zukunftsgebrabbel von Tillich und Co.

Der Bildungsbereich in diesem Land hat abgewirtschaftet. Fördernswert ist hier nur noch kurzfristig anwendbare Forschung, wie etwa in der Bergbauakedemie Freiburg, die die einzige Hochschule des Staates ist, für den man im Koalitionsvertrag eine Förderung festgeschrieben hat.

Ob sich nun die Geisteswissenschaften nur warm anziehen müssen, oder ob die Studenten dieser seit Jahren konsequent kleingesparten Bereiche ihren Unmut durch Studentenproteste Ausdruck verleihen werden, dass weiss bisher keiner. Potenziert sich aber allein der Protest des Instituts für Ethnologie in allen anderen Geisteswissenschaften, dann wir das Jahr 2010 einen ganz anderen Studentenprotest sehen.

Sagt dann nicht, Ihr hättet es nicht gewußt!

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