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Freitag, 8. Januar 2010

"Gestern war gestern und heute ist heute." Das drückte nur noch Adenauer drastischer aus: "Was interessiert mich mein Geschwätz von Gestern?" und wenn man es sich so recht überlegt, dann wundert es kaum, wenn dies eines der Leitmotive der Politik zu sein scheint. Dieses ewige Hin- und Her kennzeichnet auch die Bildungspolitik des letzten Jahres. Nun erschien jedoch gestern ein Artikel des Prorektors für Lehre und Studium der Uni Leipzig Wolfgang Fach in der FAZ. Und da interessiert es uns natürlich, was Gestern so gewesen ist. Vorab, der Artikel ist im Ganzen absolut lesbar.

Hier gibt er unter anderem folgendes zu Bedenken:

Niemand hat bisher irgendwelche ernsthaften Gedanken darauf verschwendet, was unter employability (Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt) zu verstehen sei. Am allerwenigsten kümmern sich jene Kreise darum, deren Interesse eigentlich bedient werden soll. Bis heute schwadroniert eine desorientierte Wirtschaft ahnungslos ins Blaue, wenn sie ihre Ansichten kundtun soll. Das kognitive Vakuum erlaubt es dem Wissenschaftsbetrieb, unbeirrt seine liebgewonnene Monadenmentalität zu pflegen: die von geistiger Askese schwärmt, an unverrückbaren Standards klebt, in delirierenden Exzellenzträumen schwelgt – und auf den Bachelor pfeift.

Narrenfreiheit soll gleichwohl nicht herrschen; auch das ministerielle Auge will darauf sehen, dass am Ende Bologna über professorale Idiosynkrasien triumphiert: Die Länder wirken gegebenenfalls auch im Rahmen ihrer Hochschulgesetzgebung darauf hin, dass nicht ein kleinteiliges Prüfungswesen zu Lasten der Studierenden, aber auch der Lehrenden aufgebaut wird. Eine individuelle und flexible Studiengestaltung der Studierenden sollte, heißt es, nicht durch eine übermäßige Verknüpfung von Modulen innerhalb von Studiengängen eingeschränkt werden, damit individuelle Freiräume für die Studierenden erhalten bleiben beziehungsweise ausgebaut werden.

Mögen sie darauf hinwirken und sich einmal wenigstens ihres sicheren Erfolges freuen. Er wird schon deshalb eintreten, weil der (Prüfungs-)Wahnsinn die Wahnsinnigen allmählich so ausgelaugt hat, dass sie ihren Wahnsinn selbst erkennen. Man lebt schließlich in einem elaborierten Bereich erprobter Selbstschutzmechanismen. Deutlich höhere Hindernisse stehen dem anderen Postulat im Wege: dass Studiengänge nicht starr durchnumeriert sein sollten, weil eine strikte Kurs-Verkettung dem studentischen Freiheitsdrang Abbruch tun könne. Schon die Prämisse ist hier falsch, denn nach libertär entfesselten Studienabläufen dürstet nur eine vernachlässigbar kleine (wiewohl nicht vernachlässigbar laute) Avantgarde. Sie will sich in der Tat lernend selbst finden und empfindet den Gedanken, das angestaute Wissen einmal nutzbringend abzuführen, als ferngesteuerte Ökonomisierung ihrer flottierenden Spiritualität. Der übergroße Rest verzichtet für Berechenbarkeitsgewinne gerne auf Freiheitsgrade.


Komisch, denke ich, genau das meine ich doch auch. Es hält immer nur eine Avantgarde den Kopf hin, die meisten fahren beim Streik lieber nach Davos, wenn Papa zahlt oder gehen zusätzlich jobben, weil die Zeit gerade günstig dafür ist.

Aber was wäre, wenn da nicht vorgestern gewesen wäre? Da hatte nämlich derselbe Prorektor Wolfgang Fach im Fakultätsrat der GKO das Wort und erklärte den Zuhörenden, was employability, also genau das was da oben im Zitat von der Politik eingefordert werde, sein solle.

Wenn der BA nicht nur als lizensierter Studienabbruch betrachtet werden soll, muss er sich profilieren. Die Generallinie könnte sein: MA-Abschlüsse vermitteln Expertise in einer spezifischen Disziplin, BA-Absolventen zeichnen sich durch eine besondere (und nicht-fachbezogene) Dispo­sition aus. Deren „Zutaten“ sind bekannt: analytische Kompetenz, thematische Flexibilität, Schlüs­selqualifikationen (Praktikum, Sprachen, BWL-Kenntnisse o.ä.) Diese Differenz müsste sich auch „namentlich“ niederschlagen.

Das bedeutet im Klartext, in unserer Fakultät schließen sich die Regionalwissenschaften mit der Kunst, der Ethnologie und Geschichte zusammen und bieten gemeinsam Bachelormodule an, der sich "Geschichte, Kunst und Kultur außereuropäischer Kulturen" nennt . Eine zentrale Instanz gibt dann diese bunten Bachelorscheine aus, mit denen man so schön Weiterbildungsgelder beim Arbeitsamt beantragen kann. Der Prorektor wörtlich: "Ein Bachelor Medizin reicht sicher nicht, um operieren zu können. Aber er taugt alle mal für einen Job in der Personalabteilung." Schön. Dann doch lieber gleich mit 18 in die Personalabteilung, oder studieren wir doch der Eltern zuliebe? Na, ein Glück das ich oben diese Überschrift gewählt habe, die mich hier vor allem schützt. Und die Cleveren? Die schlagen sich wahrscheinlich durch wirklich jedes noch so blöde System durch und erreichen irgenwann die Bereiche, in denen es um die eigene universitäre wissenschaftliche Bestandssicherung geht. Diese machen dann den Master und promovieren und so weiter.

Wenn man nun das mit dem oben Gesagten vergleicht , könnte man nun zum Schluß verstehen, wie Wolfgang Fach es wirklich meint. Eigentlich wären ihm eine Studentenschaft, die nach libertär entfesselten Studienabläufen dürstet, die sich in der Tat lernend selbst finden will und den Gedanken, das angestaute Wissen einmal nutzbringend abzuführen, als ferngesteuerte Ökonomisierung ihrer flottierenden Spiritualität empfindet, viel lieber. Hätte er sie sonst so sympathisch beschrieben? Aber sie ist klein und eigentlich interessiert sich für sie auch keiner, nicht mal unter der Studentenschaft. Wer die Probe aufs Exempel machen will, der fange mit einem selbstgefertigten Fragebogen in der Mensa an.

Aber ich nehme an, dass die, die Wolfgang Fach dort oben so hübsch umschreibt, mit ihrer Spiritualität und Spinnerei eher diejenigen sein werden, die den Bachelor so bis zum Master durchrutschen und dann schwupps irgendwann auch solche Artikel in der FAZ schreiben werden. Nur weiss ich nicht, ob der Gedanke etwas Beruhigendes hat.

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