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Dienstag, 25. Dezember 2007

(Ein Beitrag von Olim devona)

Der Kulturreisende im nördlichen Mittelasien wird sich vielleicht informiert haben, welche Wörterbücher er in sein Gepäck versammeln sollte: ein Russisches, ein Tadschikisches für die Bergausflüge und jeweils eines aus den Turksprachen Usbekisch, Kasachisch, Kirgisisch. Nun hat sich der Reisende in den Kopf gesetzt, alles alleine zu machen, inklusive das mit der Reise von einem Staat in den anderen. In Ermangelung einer auf den internationalen Verkehr ausgelegten Infrastruktur sagt man ihm an einschlägigen Orten, er solle ein Taxi bis zur Grenze nehmen. Bis zur Grenze? Moment! Bekanntlich reicht es ja einem Taxifahrer zu sagen „Ich Grenze!“ und sicherlich auf noch das obligatorische „Wieviel?“

Ein Taxifahrer versteht das auf Anhieb. Nie würde er darauf kommen, dass der unbekannte Fremde ihm ein Gespräch über Phänomenologie aufzwingen wolle. Also das Worterbuch auf, und das Wort Grenze gesucht: granica im Russischen, chegara im Usbekischen, sarhad im Tadschikischen. Bei der Konfrontation mit dem Taxifahrer kommt zuerst die Enttäuschung: „Du Grenze? meinst Du tamozhnaya?“ Nun wirst Du wohl denken, dass hier ein Kommunikationsproblem vorliegt und enttäuscht den nächsten Taxifahrer ansteuern, bis Du weißt, das alle die zur Grenze sollen, nur nach tamozhnaya wollen. Das klingt jedoch durchaus plausibel, wenn Du weisst, dass tamozhnaya „Zoll“ heißt.

Obwohl Zentralasien durch die Sprache Tadschikisch und die Turksprachen Usbekisch, Kasachisch, Kirgisisch geprägt wurde, existiert das wortwörtliche Grenze im Sprachgebrauch eigentlich nicht. Die Lokale Bevölkerung bezeichnet nur dessen Übergang: die Zollstation tamozhnaya. Da dieses Wort ein Russisches ist, lässt sich leicht abschätzen, wer es in die Region brachte, und warum es zum Alltagswort geworden ist. Es charakterisiert nicht etwa eine territoriale Trennung, sondern an welchen Orten diese Trennung ihre Durchgangspunkt hat: am Zollhäuschen. So ist in den Augen der zentralasiatischen Lokalbevölkerung die Grenze nur an dem Punkte wichtig, an dem sie sie auch überwinden kann. Doch ist diese Bezeichnung durchaus doppelbödig. Denn in ihr schwingt die Bedeutung der Regulierung mit. Die Durchlässigkeit der Grenze wird hier per Augenmaß von Menschen, besser durch Repräsentanten des Staates justiert, die den Strom von Menschen und des Warenflusses betreuen und jede dieser Gelegenheiten auch wahrnehmen, zu ihrem kargen Staatsgehalt das eine oder andere Bündel hinzuzufügen.

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